Gleich und gleich gesellt sich gern?

- Die Absurdität von Coronapolitikgegner*innen

Den wenigsten von uns ist es im vergangenen Jahr entgangen. Menschen, die sich gegen die Coronapolitik stellen und dabei Wissenschaft leugnen, von einer „Fake-Pandemie“ sprechen und in allem und jedem eine neue Verschwörungstheorie sehen. Die Rede ist von einer Gruppierung von Coronapolitikgegner*innen, die verschiedenste Organisationen bilden. Die vermutlich geläufigste sind die "Querdenker". In diesem Beitrag soll es vor allem um die Wortwahl und zu Teilen auch um die Forderungen dieser Gruppierungen gehen.

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Plakat_mit_Botschaft_%22Schlu%C3%9F_mit_der_L%C3%BCgen-Pandemie!%22_bei_Demo_gegen_Corona-Ma%C3%9Fnahmen_(50853438832).jpg

Der Anlass dieses Beitrags war eine Begegnung beim Mittagessen während des Anne Frank Botschafter*innen Vernetzungstreffens im August letzten Jahres in Berlin. Wir saßen in einem Restaurant draußen und unterhielten uns. Plötzlich haben Menschenmassen die Straßen gesperrt und begannen zu demonstrieren. Wie ich im Nachhinein erfahren habe, hat es sich dabei um eine Ansammlung der oben genannten Coronapolitikgegner*innen gehandelt, die sich trotz Demonstrationsverbot in Berlin versammelt und zu tausenden demonstriert haben.[1] Während wir noch mit dem Essen beschäftigt waren, bekam ich von einem der Demonstranten eine Zeitung auf den Tisch gelegt. Meine erste Reaktion war: „Die brauche ich nicht. Ich werde sie im nächsten Mülleimer entsorgen!“. Ich habe jedoch trotzdem beim Essen noch reingeguckt und mir die Headlines durchgelesen. Dabei ist mir direkt die Wortwahl ins Auge gefallen. Viele der benutzen Wörter kenne ich eigentlich nur im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. Das hat mich zum Nachdenken gebracht und ich habe diese Zeitung mit nach Hause genommen und noch einmal in Ruhe gelesen.

Schon der Titel der Zeitung „Demokratischer Widerstand“ hat mich stutzig gemacht. Meine erste Assoziation war: 2017, Geschichtsabitur, Thema Nationalsozialismus, Schwerpunkt (demokratischer) Widerstand. Dann habe ich zu diesen Stichworten recherchiert und habe diverse Artikel zu Widerstand gegen die Nationalsozialisten und eine aktuelle Wanderausstellung mit dem Namen „Gegen Diktatur - Demokratischer Widerstand in Deutschland“ gefunden. Konzipiert wurde diese Ausstellung vom Zentralverband Demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und ermöglicht mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.[2] Meine ursprüngliche Assoziation war also keine falsche.

Auf der ersten Seite der Zeitung befand sich ein Artikel mit der Überschrift: „Vorwärts! Demokraten strömen aus ganz Deutschland nach Berlin, um das Notstandsregime zu beenden.“. Das Wort „Notstandsregime“ erinnert mich ebenfalls sofort an den Nationalsozialismus. Nämlich an die Notstandsverordnung von 1933 und auch „Regime“ assoziiere ich persönlich mit der Hitler-Regierung. In der Zeitung fällt der Begriff des Notstandsregimes diverse Male. Zudem wird das aktuelle Regierungssystem auch oft als „Notstandsdiktatur“ bezeichnet. Bei meinen Recherchen habe ich sowohl die Bezeichnung „Notstand“ wie auch „Regime“ und „Diktatur“ in diversen anderen Kontexten gefunden. In der Kombination mit dem sonstigen Sprachgebrauch, habe ich jedoch meine Zweifel, ob es sich hier um einen zufälligen Begriffsgebrauch handelt, der dem Nationalsozialismus ähnelt.

In der Ausgabe vom 28. August 2021 wird von einem endgültigen „Vernichtungsschlag“ gesprochen, den die Regierung für den Herbst plane. Dieser ist – wie zu erwarten war – ausgeblieben. Das Volk solle „entmündigt“ werden. Die Quarantäne Verordnungen seien der „Zwang staatlicher Stellen“. In der vorherigen Ausgabe vom 21. August 2021 werden beispielsweise in einem Beitrag über das Impfen von Kindern die Schulen, Kindergärten und Kitas als „Erziehungsanstalten“ bezeichnet. In der Ausgabe vom 14. August 2021 wird Angela Merkel als die „Impf-Diktatorin“ und Medien als „Propagandamedien“ bezeichnet. Kinder werden in Schulen „tyrannisiert und zu autoritätshörigen Untertanen ausgebildet.“

Diese Liste ließe sich endlos weiterführen. Ich habe bewusst in mehrere Ausgaben geguckt, um zu überprüfen, ob sich dieser Sprachgebrauch in verschiedenen Artikeln wiederfindet oder ob es sich um eine Ausnahme handelt. Auffällig war, dass die Artikel, über deren Sprachgebrauch ich besonders schockiert war, von den gleichen Personen geschrieben wurden. Andere Artikel von anderen Autor*innen waren wissenschaftlich fraglich, aber sprachlich keine Anlehnung an Nazi-Propaganda. Die Frage, die ich mir in diesem Atemzug gestellt habe, ist: Warum benutzten manche Autor*innen die oben genannten Ausdrücke?

Eine einfache Erklärung wäre Unwissenheit. Vielleicht wissen sie es nicht besser oder haben als junge Menschen keinen Zugang mehr zu Wissen über den Nationalsozialismus. Dies scheint mir jedoch abwegig, aufgrund der Masse an verwendeten Begrifflichkeiten aus der Nazi-Zeit. Meine persönliche Erklärung ist eine andere:

In meiner Recherche habe ich herausgefunden, dass vor allem bei den "Querdenker" unter den Organisator*innen einige Beziehungen zu den Reichsbürgergruppierungen bestehen.[3] Reichsbürger sind Menschen, die sich auf das historische Deutsche Reich berufen und auf deren Verschwörungstheorien auch solche Argumentationsmuster folgen. Insbesondere lehnen sie die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ab. Stattdessen glauben sie daran, dass das Dritte Reich bis heute fortbesteht und erkennen in diesem Zuge Institutionen wie Behörden, Gerichte und Gesetze der Bundesrepublik Deutschland nicht an.[4] Ich glaube deshalb, dass sehr bewusst eine solche Wortwahl getroffen wird. Eine Wortwahl, die auffallen soll. Eine Wortwahl, die polarisieren soll und eine Wortwahl, die Assoziationen bei den Menschen auf der Straße weckt. Vielleicht nicht die gleiche Assoziation wie bei mir zum Nationalsozialismus, aber eine Assoziation, die zu verstehen geben soll, dass die aktuelle Situation ernst und beunruhigend sei. Es wird bewusst mit der Angst der Menschen gespielt und so getan, als würden wir in einer zum Dritten Reich vergleichbaren Situation leben.[5] Die Zeit des Nationalsozialismus wird dadurch verharmlost. Schon die Vergleiche „ich fühle mich wie Anne Frank“ (mehr dazu im Blogbeitrag »Die Instrumentalisierung von Anne Frank«) sind pietätlos und gehören nicht in die aktuelle politische Diskussion.  Man nutzt hier bewusst die Schicksale der Opfer und setzt sich mit ihnen gleich, um Emotionen zu schüren. Indem bekundet wird, man fühle sich wie Anne Frank, wird suggeriert, dass Ungeimpfte ein ähnliches Schicksal erleiden würden. Ich denke jedem sollte klar sein, dass wir heute nicht in einem zweiten Holocaust leben.

Die "Querdenker" sind eine heterogene Gruppe, die nach Außen als eine Einheit auftritt und demonstriert. Es ist jedoch absurd, dass die einen das Gefühl vermitteln wollen, dass wir Zustände wie im Dritten Reich hätten und sich als Demokrat*innen verstehen, die für eine Einhaltung der Grundrechte eintreten. Parallel dazu erkennen die anderen die Bundesrepublik Deutschland nicht an und glauben, dass das Dritte Reich bis heute noch der eigentliche souveräne Staat sei, den es gegen die BRD durchzusetzen gilt. Unter Anbetracht dessen, dass sie zusammen für die vermeintlich gleiche „Sache“ kämpfen, stellt sich das für mich als Widerspruch dar. Dieser Widerspruch lässt sich für mich nicht begreifen und es macht mich zutiefst traurig, dass diese Menschen aus der Geschichte unseres Landes nicht lernen konnten und unsere heutige Demokratie nicht zu schätzen wissen. Umso mehr hoffe ich, dass wir es verhindern können, dass sich noch mehr Menschen diesen Gruppierungen anschließen. Jeder Einzelne kann seinen Teil dazu beitragen und damit einen großen Teil für den Erhalt unserer Demokratie leisten. Diese ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit.

Durch die Recherche für diesen Beitrag habe ich die Strukturen und die Kommunikationswege der Coronapolitikgegner*innen erstmalig im Detail hinterfragt. Ich hatte von diesen aktuellen Vorgängen zwar ein gewisses (negatives) Bild durch die Medien, aber ich habe dies nie als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen, da ich sie eher als Außenseiter*innen wahrgenommen habe. Durch meine Recherche wurde mir bewusst, dass hinter diesen Gruppierungen eine organisierte Struktur steckt, die sich bewusst verbaler Mittel bedienen, die auf moralisch unterster Stufe stehen. Ich denke, dass viele Menschen gar nicht wissen, welchen Einfluss diese stilistischen Mittel unterschwellig auf sie haben, geschweige denn, wo diese ursprünglich herkommen. Inzwischen habe ich schon das Gefühl, dass diese Gruppierungen deutlich mehr Einfluss auf unsere Gesellschaft haben, als mir zunächst bewusst war. Auch die Methode Menschen auf der Straße zu gewinnen (beispielsweise durch das Ausgeben einer kostenlosen Zeitung) zeigt, wie gezielt versucht wird, eine breite Masse durch diese Propaganda zu beeinflussen. Das macht mich angesichts dieser Brisanz des Themas in der aktuellen Zeit sehr betroffen und ich hoffe, dass der Einfluss von Coronapolitikgegner*innen durch Aufklärung, eine lebendige Erinnerungskultur und durch die Politik in Zukunft minimiert werden kann.

Alina Ritzhaupt

 

 


[1]https://www.zeit.de/news/2021-08/28/polizei-bereitet-sich-trotz-demo-verbot-auf-grosseinsatz-vor?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

[2]https://www.bundestag.de/besuche/ausstellungen/pol_parl/schumacher/diktatur-244788

[3]https://www.tagesschau.de/inland/querdenken-verfassungsschutz-101.html

[4]https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/topthemen/DE/topthema-reichsbuerger/topthema-reichsbuerger.html

[5]https://www.derstandard.de/story/2000122247464/warum-sich-querdenker-mit-sophie-scholl-und-anne-frank-vergleichen